Kann der Tod Höhepunkt des Lebens sein?
Ich würde diesen Text gerne mit der Frage beginnen, wie denn deine Beziehung zu Tod und Sterben ist.
Es wäre dann aber nur die Hälfte der wirklichen Frage, weil es auch die Frage nach deinem Verhältnis zum Leben braucht.
Wir können Leben und Tod nicht einfach voneinander trennen, auch wenn wir es gewohnt sind, sie als Gegensätze, oft vielleicht sogar als Feinde zu betrachten.
Mit Mitte 20 verbrachte ich einige Zeit in einer spirituellen Gemeinschaft in Indien, und neben vielen großartigen Erkenntnissen und Einsichten, war ich fasziniert von dem dort praktizierten Umgang mit dem Tod.
Der Tod wurde als der Höhepunkt und die Krönung des Lebens gesehen, welches einer spirituellen Praxis gewidmet war.
Der Tod war nicht der Feind, den man aufschieben, vermeiden oder vor dem man weglaufen musste, sondern eine Gelegenheit, vollständig zu erwachen.
Diese Haltung trifft man in den meisten spirituellen Traditionen, und in Tibet hat sich eine ganze Kultur der Erforschung, dem Studium und der Transzendenz der Dualität zwischen Leben und Tod verschrieben. Natürlich kann das unerwünschte Schattenseiten in einer Gesellschaft kreieren, aber darum geht es hier nicht.
Einer neuen Haltung gegenüber dem Tod zu begegnen, hatte für mich einen tiefgreifenden Effekt.
Ich hatte bereits die tibetischen Texte über den Tod gelesen und spirituelle Literatur über bewusstes Leben und Sterben studiert, aber erst in dieser Gemeinschaft habe ich wirklich selbst erlebt, dass man wirklich lebendig wird, wenn man den Tod als Geschenk annimmt.
Bei einer Beerdigung als heilige Feier, bei der getanzt, gesungen und gebetet wurde, habe ich mich so lebendig gefühlt wie selten zuvor in meinem Leben.
Da war keine Morbidität, keine seltsame Todessehnsucht oder die Verleugnung der sehr realen beängstigenden, schmerzhaften und manchmal traumatischen Aspekte, die den Tod begleiten können.
Diese Feier nutzte die Realität der Vergänglichkeit, um dankbar und froh darüber zu sein zu leben.
Alles ist ein Geschenk. Es kommt, es geht, und wir sind eingeladen, es zu genießen, solange es da ist.
Für mich war dies eine tiefgreifende Veränderung.
Durch meine katholisches Umfeld in meiner Kindheit bin ich so darauf konditioniert worden, den Tod mit einer seltsamen Ambivalenz zu sehen. Einerseits sprach man über den Tod als Befreiung von den Schmerzen und Mühen des Lebens, andererseits betrachtete man ihn auch als Tragödie und als etwas, an das man besser nicht denkt.
Dazu kam noch die Erfahrung, dass Trauern und die Rituale rund um das Sterben eine äußerst ernste und schwere Angelegenheit waren.
Ich erinnere mich, dass ich mich als kleiner Junge bei einer Beerdigung innerlich unwohl fühlte, als Leute während des Essens anfingen, Witze zu erzählenund die Unterhaltung zu genießen.
Sollten wir jetzt nicht traurig und ernst sein? Ist das nicht unangemessen? Wenn ich mit lache, heißt das dann, dass mir der Verstorbene egal ist?
Wenn der Tod keinen Platz in unserer Kosmologie hat - unsere größere Perspektive wie wir das Leben verstehen -, dann werden wir zwangsläufig solche Verwirrung, Angst und Konflikte erleben, wenn der Tod in unsere Nähe kommt.
Und er wird uns begegnen.
Die Menschen, die du liebst, werden sterben, und auch du wirst sterben.
Das ist Teil der Schönheit des Lebens und kein Problem, das gelöst werden muss.
Aber wie wir uns in einem solchen Moment verhalten, wie wir unseren eigenen Tod erleben, das liegt an uns. Wenn der Tod keinen Platz in unserem Leben hat, spalten wir unsere Erfahrung, wir fragmentieren den Kosmos, und wir können nicht vollständig und wahrhaftig leben.
Den Tod zu akzeptieren ist ein Spiegelbild dessen, wie viel wir im Leben loslassen können. Den Tod als Spiegel anzunehmen, in dem wir das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden können, kann uns dankbar, weise und freudig machen.
Während wir in unserer Kultur wie besessen versuchen, die Quantität des Lebens zu maximieren, verlieren wir leicht aus den Augen, in welcher Qualität des Lebens wir leben wollen.
Das Schöne daran ist, dass wir nicht warten müssen, bis der Tod an unsere Tür klopft und uns auffordert, wach zu werden.
Wir können jeden Tag üben. Loslassen, wenn wir uns an eine Idee klammern wollen. Die Verantwortung für das Leben zu übernehmen, wenn wir uns in Gleichgültigkeit verlieren wollen. Mich daran erinnern, für die Dinge dankbar zu sein, die ich für selbstverständlich halten möchte.
In der Transformationsarbeit mit Menschen ist es für mich direkt ersichtlich, dass wir nicht wachsen können, ohne zu lernen dem großen Lehrer namens Tod direkt ins Gesicht zu schauen.
Ob du in ihm ein freundliches, ein strenges oder ein erschreckendes Gesicht siehst, hat nichts mit dem Tod selbst zu tun. Es ist eine Reflexion und eine Einladung, sich mit etwas in dir selbst auseinanderzusetzen.
Und du musst nicht darauf warten, dass er erscheint.
Jeder Moment ist eine Einladung, das Leben das uns geschenkt ist voll und ganz zu erfahren, mit dem Moment präsent zu sein und zu erlauben dass dieser Moment geht, stirbt.
Einatmen, Ausatmen. Was bleibt, ist das Geheimnis des Wachseins.
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