Wie ich auf mein „Seins-Recht“ gestoßen bin
Als ich etwa 22 Jahre alt war, ging ich zu meiner ersten Familienaufstellung.
Ich kann mit gutem Gewissen sagen, dass diese Erfahrung mein Leben in vielerlei Hinsicht stark geprägt und beeinflusst hat.
Zum ersten Mal habe ich meine ich meine Familiengeschichte jenseits der üblichen Geschichten und Fakten erforscht, und was sich damit aufgetan hat, ist immer noch eine positive und stärkende Quelle in meinem Leben.
Mehr als zwei Jahrzehnte später, nach hunderten von Aufstellungen an denen ich teilgenommen und selbst geleitet habe, nachdem ich mit Tausenden Menschen an ihrer Familiengeschichte gearbeitet habe, entdecke ich in mir selbst immer wieder neue Schichten die vom Leben meiner Vorfahren geprägt sind.
Paradoxerweise ist es ein ständiger Prozess, mein wahres Selbst zu finden und zu leben.
Einer meiner Lehrer, Thomas Hübl, hat dies treffend als das „Seins-Recht“ bezeichnet.
Dieses Recht besteht aus dem Recht auf Zugehörigkeit und dem Recht auf Entwicklung.
Zu Sein heißt, dass wir gleichzeitig frei und verbunden sind im Leben, und damit in der Lage sind das zu leben wofür wir hier sind.
Das ist es, was wahre Individualität ausmacht.
In unserer westlichen Vorstellung interpretieren wir Individualität aber oft so, dass wir losgelöst sind und keine Anbindungen mehr an unsere Herkunft haben.
Das Leben funktioniert aber so nicht.
Das Seins-Recht, ist uns von Geburt an gegeben – einfach dadurch, dass wir am Leben sind, haben wir das Recht und die Freiheit, wir selbst zu sein. In einer verletzten Welt ist es aber auch etwas, das wir uns ein Leben lang zurück erobern müssen.
Das Recht auf Zugehörigkeit wird durch unser Gefühl von Verbundenheit und Sicherheit in der Familie und dem Ahnenstamm lebendig. Dort wo wir willkommen sind und einen Platz haben, der nicht in Frage gestellt wird!
Das Recht auf Entwicklung ist der Ruf, die Person zu werden die wir sein wollen.
Nicht nur in die Fußstapfen unserer Vorfahren zu treten, sondern unseren eigenen, individuellen Lebensweg gehen zu können.
Ich stamme aus einer sehr, sehr langen Ahnenlinie von Bauern.
Es war faszinierend den Ahnenbaum meiner Familie zu erforschen, und dabei zu sehen, dass wahrscheinlich niemand meiner direkten Vorfahren je einen anderen Beruf hatte!
Von meiner Familie habe ich gelernt, was Tradition, Stabilität und Zusammenhalt bedeuten, und diese Werte und Qualitäten sind auch heute noch in meinem Berufs- und Privatleben lebendig.
Andererseits habe ich nicht viel über Innovation, mutige Schritte oder über den Tellerrand schauen gelernt.
In den letzten Jahren habe ich an mir selbst wieder festgestellt, dass ich recht konservativ und risikoscheu sein kann, wenn es darum geht, größere oder mutigere Entscheidungen zu treffen.
Obwohl ich in vielerlei Hinsicht schon ein sehr unkonventionelles Leben führe, und sehr stark meinen eigenen Weg gegangen bin, ertappe ich mich immer wieder mal dabei gewissen Familien Mustern zu folgen:
Geh auf Nummer sicher!
Denke nicht zu groß!
Das ist für andere, nicht für uns!
Das kann nicht funktionieren, bleib bei dem, was du weißt!
Der Unterschied ist jetzt, dass ich weiß woher das kommt. Ich habe gelernt, es als mein Erbe anzunehmen. Ich kann das Leben meiner Vorfahren ehren und ihnen für das danken, was sie mir und meiner Familie gegeben haben.
Ich muss nicht mehr beweisen, dass ich anders bin, wie ich es vor allem in meinen rebellischen Teenagerjahren und in den frühen 20er Jahren getan habe.
Ich weiß, dass ich dazu gehöre, und ich weiß, dass ich anders bin, einfach nur dadurch dass ich bin.
Mit meinen Ahnen zu sprechen und mich mit ihnen zu verbinden, ist seit langem ein Teil meiner täglichen Praxis geworden. Ich danke ihnen, bitte sie um Unterstützung und ehre sie, indem ich mein Leben so gut lebe, wie ich es kann.
Ich weiß, dass ich ihren Segen habe, und manchmal muss ich ein bisschen übersetzen, weil ich in einer ganz anderen Welt lebe.
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